
ÖPNV // 02.02.2021
Bis 2030 soll die BVG nach den Vorgaben im Berliner Mobilitätsgesetz ihre gesamte Busflotte auf umweltfreundliche alternative Antriebe umstellen. Ein wesentlicher Meilenstein für diesen großen Wandel ist die Hochlaufphase Elektromobilität 2018-2022, in der die BVG Erfahrungen mit dem Betrieb verschiedener serienreifer Elektrobusse sammelt. Im Rahmen dieser Hochlaufphase sind derzeit bereits 120 Elektro-Solobusse (12 m) im Einsatz, die im Depot geladen werden.
Weiterhin realisiert die BVG im Projekt „E-MetroBus“ den Einsatz von 17 Elektro-Gelenkbussen (18 m) mit Gelegenheitsladung. Das Projekt zeigt, wie elektrische Gelenkbusse im hochfrequenten Stadtbusverkehr in der Konfiguration als Gelegenheitslader (Opportunity Charger) in Verbindung mit Schnellladeinfrastruktur mit 450 kW an den Endhaltestellen eingesetzt werden können.
Unterstützt wird das Projekt durch die Technische Universität Berlin und das Reiner Lemoine Institut, die hier den Aspekt Forschung & Entwicklung des Förderprojekts aktiv begleiten.
Im August 2020 ist das Projekt mit einem Testbetrieb gestartet, der im Dezember 2020 erfolgreich abgeschlossen wurde. Der reguläre Fahrbetrieb konnte ohne nennenswerte Störungen durchgeführt werden, sodass die BVG die Busse nach der Testphase problemlos in den Regelbetrieb einführen konnte.
Die Fahrzeuge
Das Projekt umfasst den Einsatz von 17 Fahrzeugen des Typs Solaris Urbino 18 electric auf der innerstädtischen Linie 200 – die ersten vollelektrischen Gelenkbusse bei der BVG. Die Fahrzeuge sind (genau wie die bisherige Gelenkbus-Flotte) 18 Meter lang und bieten Platz für ca. 100 Fahrgäste. Die vom Hersteller garantierte Reichweite beträgt 60 Kilometer bei einer Gesamtbatteriekapazität von 175 kWh und ermöglicht somit ausreichend Puffer für den Betrieb auf der 12 Kilometer langen Fahrstrecke, denn die Nachladung der Fahrzeuge erfolgt an den Endhaltestellen im Minutenbereich.
Die Ladeinfrastruktur
Die Ladung der Traktionsbatterien erfolgt über Lademaste mit Top-down-Pantografen an den beiden Endhaltestellen Michelangelostraße und Hertzallee (Bahnhof Zoo). Jeweils zwei High-Power-Charger (HPC) der Firma Siemens mit einer Ladeleistung von bis zu 450 kW wurden hier in Betrieb genommen. Technisch wäre hier sogar eine maximale Ladeleistung von bis zu 600 kW möglich.
Eine weitere Ladestation mit 300 kW wurde auf dem Betriebshof in der Indira-Gandhi-Straße installiert. Diese Ladestation wird eingesetzt, um zum Beispiel einen Bus nach einem Werkstattaufenthalt wieder vollzuladen und zur Schulung des Fahrpersonals.
Zusätzlich sind auf dem Betriebshof noch sechs CCS-Ladesäulen mit jeweils 30 kW vorhanden. Diese dienen primär der Wartung der Traktionsbatterien (Batteriebalancing), die ca. alle drei Tage durchgeführt wird. Bei Bedarf können die Ladesäulen also auch zum Nachladen von Depotladern genutzt werden.
Der Ladebetrieb auf der Strecke
Auf der 12 Kilometer langen Fahrstrecke verbrauchen die Fahrzeuge ca. 25 % ihrer Akkuleistung. Aufgrund der hohen verfügbaren Ladeleistung an den Endhaltestellen können die Busse innerhalb von 7-8 Minuten wieder ausreichend nachgeladen werden. Die kurzen Ladezeiten lassen sich auf der Linie 200 während der üblichen Pausen des Fahrpersonals realisieren.
Durch etwaige Betriebsstörungen (z.B. Demonstrationen) kann es vorkommen, dass eine Endhaltestelle und somit das Ladesystem unerreichbar ist. Diese Vorkommnisse sind bei der Auslegung der Batterie und der Ladeinfrastruktur berücksichtigt und werden in der betrieblichen Praxis von einem Störfallkonzept mit alternativen Ladestrategien begleitet. Ein stabiler Betrieb ist hierdurch auch bei Eventualitäten gewährleistet.
Das Fahrpersonal
Die BVG hat bereits vor dem E-MetroBus-Projekt Erfahrungen mit serienreifen Elektrobussen gesammelt. Dementsprechend konnten das Fahr- und Betriebspersonal auf erste Erfahrungen mit Elektrobussen zurückgreifen. Im Rahmen von Schulungen und Einweisungen wurde das Fahrpersonal mit den Eigenschaften der neuen Elektro-Gelenkbusse und der Funktionsweise des Ladens vertraut gemacht.
„Die Schulungen sind für uns ein wichtiges Instrument, um die Besonderheiten eines neuen Fahrzeugs bzw. der Ladetechnik vorzustellen und die Fahrer:innen damit vertraut zu machen. Durch die Schulung am Fahrzeug bzw. am Lademast können wir dann Fragen oder Unsicherheiten direkt aus der Welt schaffen.“, so Oliver Brück, Fahrpersonal-Gruppenleiter bei der BVG. „Durch das Gelegenheitsladen am High-Power-Charger (HPC) haben wir immer genügend Batterieleistung zur Verfügung. Das ist natürlich auch für das Fahrpersonal beruhigend zu wissen, sodass sie sich keine Gedanken über eine limitierte Reichweite machen müssen“ ergänzt er.
Die Reaktionen auf die neuen Busse fallen beim Fahrpersonal sehr positiv aus. Viele Fahrer:innen schätzen das leise Fahrverhalten, den guten Vortrieb und das moderne Aussehen der E-Busse.
Die Begleitforschung
Die Technische Universität Berlin entwickelt im Rahmen des Projekts unter anderem ein E-Bus-Leitsystem mit besserer Reichweitenprognose, untersucht die energieeffiziente Nutzung von Heiz- und Klimasystemen und die Umweltbilanz der Busse. Zusätzlich unterstützt sie bei der Entwicklung des Betriebs- und Störfallkonzeptes.
Das Reiner Lemoine Institut untersucht anhand unterschiedlicher Szenarien, wie eine lokale, netzdienliche Versorgung der Ladestationen an den Haltestellen und im Depot umgesetzt werden kann. Außerdem hat es eine App entwickelt, mit der Fahrgäste den CO2-Abdruck ihrer Fahrt berechnen können und weitere Informationen zum Thema E-Busse und nachhaltige Mobilität finden.
Förderungen
Das Investitionsvolumen des Projektes beläuft sich insgesamt auf rund 16,7 Millionen Euro. Davon übernimmt die BVG jene Kosten, die für vergleichbare Dieselbusse angefallen wären. Im Rahmen der Förderrichtlinie Elektromobilität wird das E-MetroBus-Projekt mit insgesamt 4,3 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert. Die restlichen Mehrkosten übernimmt das Land Berlin.
Ferner fördert das BMVI den Forschungs- und Entwicklungsteil des Projektes mit insgesamt ca. 1,4 Millionen Euro (Gesamtfördersumme des Projektverbundes bestehend aus RLI, TU Berlin und BVG).
Hintergrund
Seit 2005 testet die BVG den Einsatz von elektrischen Bussen. Die erste E-Bus-Generation mit vier Prototyp-Fahrzeugen wurde auf der Linie 204 (zwischen Südkreuz und Bahnhof Zoo) eingesetzt und per Induktion an den Endhaltestellen geladen. Durch die geringe Marktverfügbarkeit dieser Ladetechnologie, den Wirkungsgrad sowie begrenzte Ladeleistungen der Ladeinfrastruktur und vor allem die stetige Weiterentwicklung von Batterie-Elektrobussen mit anderen Ladeverfahren wurde das Induktionsladen nicht weiterverfolgt. Dennoch konnte die BVG wertvolle, erste Erfahrungen mit dem Betrieb von Elektrobussen sammeln.
Die Elektrifizierungsaktivitäten der BVG werden derzeit stark ausgebaut, denn mit der Umstellung der gesamten Busflotte (derzeit ca. 1.500 Busse) von Verbrennungsmotoren auf lokal emissionsfreie Antriebe möchte die BVG einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der lokalen Luftreinhaltung und dem globalen Ziel des Klimaschutzes leisten. Dieses Vorhaben ist im Berliner Mobilitätsgesetz verankert. So ist in diesem Gesetz vorgesehen, dass der gesamte ÖPNV in Berlin bis 2030 mit alternativen Antrieben erfolgen soll. Die beste Strategie hierfür ist nach dem heutigen Stand der Technik die Elektromobilität.
Vor dem Hintergrund eines sehr heterogenen großstädtischen Liniennetzes, in dem sowohl Solobusse, Gelenkbusse sowie Doppeldecker im Einsatz sind, geht der Umstieg auf Elektromobilität mit komplexen Herausforderungen einher. So besteht derzeit noch keine Standardtechnologie für die Elektrifizierung und sind für die die Implementierung von Elektrobussen lange Vorlaufzeiten durch den erheblichen Infrastrukturaufbau einzuplanen.
Deshalb sammelt die BVG schon seit 2018 im Rahmen der Hochlaufphase 2018 – 2022 Erfahrungen mit verschiedenen Typen Elektrobusse (120 Depotlader und 17 Gelegenheitslader) und dem dazugehörigen Aufbau von Infrastruktur zur Nachladung der Elektrobusse und in den Werkstätten. Seit Anfang 2021 befinden sich die Busse der Hochlaufphase im Betrieb.
Aktueller Stand
Die BVG zieht im Dezember 2020 eine positive Bilanz hinsichtlich des viermonatigen Testbetriebs. Das Projekt konnte ohne nennenswerte Störungen umgesetzt werden. Während der gesamten Phase gab es keinerlei Reichweitenvorfälle. Lediglich kleinere Störungen wie einen lokalen Stromausfall sowie ein Software-Problem einer Ladestation sorgten für kurze Unterbrechungen, die jedoch aufgrund des vorhandenen Störfallkonzepts ohne Auswirkungen auf den Fahrgastbetrieb aufgefangen werden konnten.
Ausblick
In Berlin gibt es nur wenige Buslinien, deren Strecken eine Länge von 20 Kilometern pro Richtung überschreiten. Insofern kommt das Gelegenheitsladen wie es bei der Linie 200 erprobt wird grundsätzlich für viele Linien in Frage. Allerdings gilt es in der Praxis weitere Faktoren zu berücksichtigen:
- Die Endhaltestellen müssen ausreichend Platz für die Ladeinfrastruktur bieten,
- es muss ein entsprechend ausgelegter Netzanschluss verfügbar sein und
- das zuständige Bezirksamt muss die entsprechende Genehmigung für den Bau der Ladeinfrastruktur erteilen.
Zu erwarten ist also, dass es zukünftig eine Mischung aus Depotladung und Gelegenheitsladung bei den Berliner Buslinien geben wird. Darüber hinaus untersucht die BVG den Einsatz von Hybrid-Oberleitungsbussen. Die Entwicklung von H2-Brennstoffzellen-Bussen wird kontinuierlich beobachtet.
Vom aktuellen Projekt erwartet sich die BVG Erfahrungswerte, die in die weitere Elektrifizierung der Busflotte und die Technologieentscheidungen einfließen können. Insbesondere soll erforscht werden wieviel Ladeleistung im Betrieb tatsächlich benötigt wird.
Herausforderungen & Chancen
Da beim Projekt E-MetroBus neue Fahrzeuge und eine neue Ladetechnik eingesetzt wird, gibt es bisher nur wenig Erfahrungswerte aus der Praxis.
Die noch fehlenden Erfahrungswerte bedeuten für die BVG eine hohe Lernkurve und auch, dass eine intensive Evaluierung des Projekts nötig ist. Durch den Praxisbetrieb in den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob das System langfristig zuverlässig funktioniert und somit eine Blaupause für weitere Strecken sein kann. Die Ergebnisse des Projektes sind somit essentiell für die Fortschreibung der Elektrifizierungsstrategie bis 2030.
Tipps für andere Kommunen
Für den Bau der Ladeinfrastruktur an den Endhaltestellen sind verschiedene Genehmigungen nötig (z.B. die „verkehrsrechtliche Anordnung“ durch das Bezirksamt).
Der Bau der Ladeinfrastruktur an den Endhaltestellen benötigt ausreichend Platz für Trafostation und Lademast. Es wird zwar erwartet, dass diese in Zukunft noch platzsparender umgesetzt werden können, dennoch gibt es Haltestellen, an denen der Bau nicht möglich sein wird.
Was passiert im Fall einer Störung des Fahrzeugs oder der Ladetechnik? Um trotz möglicher Störungen einen zuverlässigen Fahrgastbetrieb zu gewährleisten, hat die BVG ein Störfallkonzept entwickelt. Tritt eine Störung auf, sind darin verschiedene Optionen vorgesehen, um einerseits den Betrieb aufrecht zu erhalten und andererseits schnell die Störung zu beseitigen. Die Beseitigung ist entweder per Fernwartung (bei Software-Problemen) oder auch vor Ort möglich.
Grundsätzlich ist der Einsatz von Gelegenheitsladern an Endhaltestellen auch für kleinere Kommunen denkbar. Allerdings zeigt sich der Vorteil dieser Ladetechnik besonders im hochfrequenten Innenstadtbereich, bei dem der Energieverbrauch höher ist, als beispielsweise im ländlichen Raum mit längeren Fahrstrecken und weniger Stopps. Die Entscheidung für Gelegenheitsladung oder klassische Depotladung sollte daher vom jeweiligen Fahrprofil abhängig gemacht werden.
Reiner Lemoine Institut Förderrichtlinie „Elektromobilität“ des BMVI Fahrzeuge des Typs Solaris new Urbino 18 electric 2 Lademasten mit jeweils 450 kW (Endhaltestellen), Lademast mit 300 kW (Betriebshof), 6 Ladepunkte mit jeweils 30 kW (Betriebshof) Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) – AöR Telefon: 030 256-29185Key facts
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